Archiv 2023

 

Alberto Giacometti 

 

Das Bündner Kunstmuseum Chur würdigt Alberto Giacometti mit einer Ausstellung unter dem Titel: ALBERTO GIACOMETTI. PORTRÄT DES KÜNSTLERS ALS JUNGER MANN, im Zeitraum vom 19. August bis zum 19. November 2023. Detaillierte Informationen zu dieser Ausstellung finden Sie hier.

 

Wir nehmen dies zum Anlass, die Verbindung zwischen Alberto Giacometti und Cuno Amiet

neu aufleben zu lassen. Cuno Amiet war mit dem Vater von Alberto Giacometti, dem Maler Giovanni Giacometti, eng befreundet. Die beiden waren Weggefährten und lernten sich während ihrer Studienzeit in München kennen. Zeitlebens verband die beiden Künstler eine tiefe Freundschaft. Deshalb ist es nicht verwunderlich das Giovanni Cuno zu seinem Paten des Erstgeborenen Sohnes Alberto im Jahre 1901 machte.

 

In einem Brief datiert vom 10. Oktober 1901 schreibt Giovanni Giacometti an seinen Freund und Weggefährten Cuno Amiet:

 

«Mein lieber Freund, Heute morgen um 1 Uhr ist uns nach langen Qualen ein Knäblein geboren. Mutter und Kind sind ganz wohl. Das Kind ist gesund und munter und wiegt 3,2 kg. Das erste Kompliment das es mir machte, war es, dass es mir die Zunge zeigt. Erst jetzt kann ich die ganze Tiefe Eures Schmerzes ermessen. Ihr lieben, armen Freunde! »

 

Borgonovo 19. Oktober 1901

 

Cuno und Anna waren höchst erfreut zu hören das bei der Geburt des Kindes alles gut gegangen ist und alle wohl auf sind. Hatte doch Anna einige Tage davor eine Todgeburt erlitten durch eine Kohlenoxydgasvergiftung (beim bügeln). Cuno Amiet schreibt in einem Brief an Giovanni Giacometti anlässlich der Todgeburt einige Tage zuvor:

 

«Mein lieber Freund, Gestern am Sonntag traten Nachmittags stärkere Wehen ein. Abends 10 Uhr holte ich die Hebamme. Wir blieben dann noch bis gegen Mitternacht zusammen auf & zwischen den Wehen meines lieben Annel lachten wir recht herzlich. Dann legen wir uns schlafen. Annel schlief nicht, aber sie war am Morgen munter. Die Wehen verstärkten sich noch & bei einer derselben platzte, wie es normalerweise geschehen soll, die Blase. Hierauf untersuchte die Hebamme. Dann winkte sie mir, hinaus zu kommen & sagte mir, das Kind sei tot. Wir begaben uns wieder ins Schlafzimmer und zögernd  machten wir dem armen Annel diese traurige Mitteilung. Es that so weh. Die Geburt verlief normal, um 9 Uhr war das tote Knäblein, das bis vor ein paar Tagen gelebt haben muss, zur Welt gebracht. Das Wägelchen steht neben dem Bett – leer!»

 

Oschwand, 30 September 1901

 

Einige Tage nach der Überbringung der freudigen Nachricht das Giovanni und Annetta einen gesunden Sohn bekommen haben schreibt Amiet an seinen Freund folgende Zeilen:

 

«Liebe Freunde, Von ganzem Herzen gratulieren wir Euch Beiden zu der glücklichen Geburt Eures Buben. Freut Euch, freut Euch so viel Ihr nur könnt. Ihr wisst nicht, wie sehr Ihr Euch freuen müsst! Wenn Eure Nachricht uns auch wieder von Neuem zum Bewusstsein brachte wie schön auch wir es jetzt, ohne jenen unglücklichen Zufall hätten haben können, so können wir doch so recht mit Euch empfinden wie glücklich Ihr sein müsst. Wir wissen ja schon auch, dass Euer Glück durch unser Missgeschick beeinträchtigt wird. Lasst dieses Gefühl aber nicht zu sehr aufkommen, freut Euch! Wann soll denn die Taufe sein? Und wie soll der Kleine heissen? doch gewiss Giovanni?»

 

Oschwand, 13. Oktober 1901

 

Trotz des schlimmen Verlustes des eigenen Kindes freuen sich Cuno und Anna für die beiden das ihnen das Glück hold war und Giovanni und Annetta einen gesunden Sohn bekommen haben. Giovanni ist froh von Cuno zu hören und antwortet ihm auf seinen liebevollen Brief wie folgt: Auszüge daraus.

 

«Liebe Freunde, Dein letzter Brief hat uns beide grosse Freude gemacht, da wir daraus ersehen, dass Anna gut zwäg ist und dass Sie nun wieder auf ist, wir hatten Angst für Sie. Wir haben noch nicht bestimmt, wann die Taufe sein soll. Es hängt gewissermassen auch vom Götti ab. Es geht uns nämlich eine stille Hoffnung auf. Dass wir nämlich den Götti und dessen liebe Frau hier zur Taufe haben könnten. Was meint Ihr dazu? Ich habe letzthin geträumt, Ihr seiet hier, ich war nur in Verlegenheit, dass ich nichts Gescheites zum zeigen da hatte».  

 

Borgonovo 20. Oktober 1901

 

«Lieber Freund, Habe ich Dir den Namen Deines «figliocci» schon mitgeteilt? Er heisst Giovanni Alberto. Unser Giov Alberto also gedeiht vortrefflich, er ist immer munter und von ausgezeichneten Appetit. Wir denken nun ihn bald taufen zu lassen, bevor er dem Gevatter und den Gevatterinnen und dem Pfarrer davonspringe. Wie ich im letzten Briefe schrieb hängt nun das bestimmte Datum der Taufe vom Gevatter ab. Wir dachten, man könnte dieses Ereigniss etwa am Sonntag über acht Tagen feiern bevor es gar zu kalt wird. Man kann die Sache ewent. aber für eine oder zwei Wochen verschieben. Die Hauptfreude für uns an diesem Tage, abgesehen von der Freude an unserem Sprössling ist, Dich bei uns zu haben. Diese Freude macht mir doch etwas Gewissensbisse. Ich will Dir meine Bedenken sagen und Du sollst mir Deine gerade Meinung wie immer darüber mitteilen. Mir hat es grosse Freude gemacht das Du gleich auf meinen Wunsch eingegangen bist, Gevatter meines Kindes zu sein, Dich aber veranlassen um diese Jahreszeit die lange Reise bis hierher zu machen, macht mir eben Bedenken.

 

Borgonovo 5. November 1901

 

Cuno und Anna konnten leider an der geplanten Taufe nicht teilnehmen was die beiden sehr betrübte. Eine Reise für Anna wäre nicht zumutbar gewesen. Cuno schreibt seinem lieben Freund Giovanni folgenden Brief:

 

«Mein lieber Giovanni, Was nun deine Taufe anbelangt, so hast du eigentlich recht, wenn du meinst, es wäre gescheiter im Frühling zu kommen. Ich hatte mich zwar auf die Taufe & überhaupt auf den Besuch bei Euch mordsmässig gefreut. Da die Anwesenheit des Götti aber bei der Taufe nicht unbedingt notwendig ist, so will ich vernünftig sein & mich vorläufig mit der Freude begnügen, dass ich überhaupt der Götti Eures lieben Kleinen sein kann. Wenn ich dann die weite Reise gemacht hätte, so möchte ich auch nicht gleich am anderen Tage fort & möchte das Zusammensein mit Euch eine Zeitlang geniessen. Für die zwei Zeichnungen meines Göttikindes danke ich dir vielmals, wir haben sie im Schlafzimmer aufgehängt. 

 

Oschwand, 11. November 1901

 

Cuno und Anna Amiet nahmen aus obgenannten Gründen an der Taufe nicht teil besuchten aber Giovanni, Annetta und den kleinen Alberto im darauffolgenden Frühling in Stampa. Zur Taufe schickte Cuno dem kleinen Alberto einen Brief. Auszug daraus:

 

«Meinem lieben Göttikind Alberto, schicke ich hier etwas. Was er damit isst möge ihm immer gut thun. Wenn er einmal kann, soll er die Sachen alle Tage brauchen & soll dabei denken, dass sein Götti im Fall der Noth treu zu ihm halten wird. Ich wünsche Euch ein recht frohes Taufefest, nehmt einen rechten Schluck & denkt dass ich am liebsten auch dabei sein möchte.»

 

Oschwand, 20. November 1901

 

In den folgenden Jahren fanden immer wieder gegenseitige Besuche sowohl in Stampa wie auf der Oschwand statt. Alberto und Cuno standen auch brieflich in Verbindung zwischen den familiären treffen und Giovanni hielt seinen Freund Cuno immer auf dem Laufenden über die Entwicklung seines Sprösslings. 

 

Briefauszüge: Cuno Amiet – Giovanni Giacometti, Briefwechsel, Verlag Scheidegger & Spiess Zürich, erschienen 2000, Herausgeber: Schweizerisches Institut für Kunst Zürich

Werk links: Cuno Amiet, Alberto, Öl/Leinwand, 1910

Werk rechts: Giovanni Giacometti, Alberto, Öl/Leinwand, 1910


 

Cuno Amiet und die Holzschnittkunst 

 

Der Holzschnitt, das älteste und einfachste Bilddruckverfahren überhaupt, ist charakterisiert durch ausdrucksstarke stilisierte Formulierungen. Dieser visuellen Eindringlichkeit und dem Umstand als Hochdruck hohe Auflagen zu gestatten und mit dem Letterndruck zu harmonieren, verdankt er seine ununterbrochene Bedeutung vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Wenn er auch nicht zu allen Zeiten als Medium für Bildgestaltungen mit eindeutig künstlerischem Anspruch gewählt worden ist, so fand der Holzschnitt doch die Aufmerksamkeit der Künstler. 

 

Cuno Amiet und Giovanni Giacometti hatten in München Freundschaft geschlossen und einen gemeinsamen Studienaufenthalt in Paris verlebt, bevor Giacometti ins Bergell zurückkehren musste, während Amiet noch Gelegenheit erhielt, Pont-Aven und seinen Künstlerkreis kennenzulernen. Neben Vallotton und Ferdinand Hodler waren sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die beiden einzigen Schweizer Maler von internationalem Ruf. Hodler hat sich für das Holzschneiden nicht interessiert. Amiet und Giacometti aber schufen neben ihrer Malerei ein Oeuvre von Schwarzweiss- und Farbholzschnitten von je zwanzig bis dreissig Blättern. 

 

Cuno Amiet, Winter in Oschwand, 1902
Cuno Amiet, Winter in Oschwand, 1902

Amiets erste Farbholzschnitte, zwei poetische Winterlandschaften aus der Zeit zwischen 1902 und 1905, sind von der Japanmode diktiert. Aus den Jahren bis 1910, also so lange Amiet gelegentlich in Holz schnitt, findet man Kompositionen und Exlibris-Blättchen für Freunde, in denen die Macht der Flächengewichtung Vallattons nachwirkt. Davon liessen sich sogar die jungen deutschen Expressionisten – allen voran Ernst Ludwig Kirchner mit seinen Holzschnitten aus den Jahren 1904 und 1905 – beeinflussen. 1906 lud die Künstlergruppe «Die Brücke» Amiet ein, sich ihr anzuschliessen, was er auch tat. Er blieb Mitglied bis zur Auflösung 1913. Die Künstler der «Brücke» beschäftigten sich stark mit dem Holzschnitt und hofften so, einer traditionellen, einheimischen Kunst neue Impulse zu geben. Die für den Holzschnitt charakteristische, vereinfachte Formgebung und expressive Unmittelbarkeit entsprach vollkommen ihrem Verlangen nach einer unverhüllten Gefühlsmitteilung, um das sie sich in ihrer Malerei so sehr bemühten. Um eine möglichst grosse Mitgliedschaft zur Unterstützung zu gewinnen, fasste die «Brücke» den Plan, an ihre Mitglieder jährlich eine Mappe mit Originaldrucken zu verschicken. 

 

Cuno Amiet, Portrait Giovanni Giacometti beim Lesen, 1907
Cuno Amiet, Portrait Giovanni Giacometti beim Lesen, 1907

Die erste Mappe wurde 1907 zusammengestellt und enthielt auch einen Holzschnitt von Amiet, ein Porträt seines Freundes Giovanni Giacometti. Er war wohl schon im Jahre 1904 entstanden, kam aber in seiner schlichten Vitalität den Absichten der «Brücke» sehr entgegen. Amiet hatte in Pont-Aven grafisch zu arbeiten begonnen, als er unter der Leitung von Armand Séguin einige Radierungen schuf. Sein erster Holzschnitt entstand 1902 und stellt eine wirkungsvolle und sehr schlichte Winterszene dar, die bereits ein gutes Verständnis für die Sparsamkeit der Mittel zeigt. Die leeren Flächen werden mit Bedeutung aufgeladen durch die karge, wohlbedachte Verteilung der Druckerschwärze. Bereits – und obwohl dieser Holzschnitt mehrere Monate vor dem gelben Hügel entstanden ist – spüren wir, wie sich Amiet dem japanischen Holzschnitt zuwendet.

 

Cuno Amiet, Schulpause im Winter, 1909
Cuno Amiet, Schulpause im Winter, 1909

Als Mitglied der «Brücke» fühlte sich Amiet zu weiteren Holzschnitten ermutigt. Das Blatt Schulpause im Winter von 1909 ist Amiets einziger Holzschnitt, in dem ein Einfluss der «Brücke-Mitgliedschaft» in Ansätzen expressionistischer Stilmittel hervortritt. Geschmeidiger Linienfluss und klare Flächenbegrenzung sind für einmal massvollem Stakkato gewichen. Die Schnittweise lässt in der Gestaltung der Kinderfiguren als eckige, ausgefranste Silhouetten und in allen von ungleichmässiger Kontur gefassten Flächen sowie in ihrer «zufälligen» Binnenschraffierung rohe Kerbspuren des Werkzeuges erkennen. Giovanni Giacometti war durch Amiet auf die Aktualität des Holzschnittes aufmerksam gemacht worden. Wenn andere Maler das Holzschneiden als Stildisziplinierung betrachten mochten, so ging es ihm eher darum, die Spontanität seiner Pinselschrift auch den spröderen Möglichkeiten der Holzschnitt-Technik abzugewinnen. Eine Schülerin Amiets Alice Baillys wandte sich ebenfalls der Holzschnitt-Technik zu. Ihre ersten arbeiten stammen aus dem Jahre 1904, aus einer Zeit, als die Genfer Künstlerin – nach Studienaufenthalten in München – in Paris arbeitete. Ebenso Ernst Geiger (1876-1965) welcher bei Cuno Amiet in die Technik des Holzschnittes eingeführt worden ist. Geiger schuf von 1905 bis 1941 70 Exlibris Drucke. Für die Herstellung dieser wählte er ausschliesslich die Holzschnitt-Technik.

 

Textauszüge aus der Publikation: 

Der moderne Holzschnitt in der Schweiz / Autor: Eva Korazija Magnaguagno, erschienen im Limmat Verlag, 1987, zu beziehen über Orell Füssli Verlag