Im Jahre 1888 habe ich den ersten Hodler gesehen.
Ich kam von München wieder nach Solothurn zurück in die Sommerferien. Ich hatte lange Zeit nach meinem lieben Meister Frank Buchser, und er nahm mich, wie in allen Ferien, auch diesmal wieder in aller Güte auf. Ich durfte wieder unter seiner strengen Führung arbeiten.
In München hatte ich viel gesehen, in der Pinakothek fleißig die alten Meister studiert und in der internationalen Ausstellung Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier, Engländer, Amerikaner mit gierigen Augen genossen. Aber kein Bild konnte ich anschauen, ohne an meinen Lehrer in Feldbrunnen zu denken. Seine starke, frische, zupackende, helle, sonnige Malerei hatte es mir angetan. Die sagte meinem jungen Herzen voll Lust und Freude so ganz und gar zu.
Auch in Solothurn gab es eine Ausstellung. Ich half beim Auspacken und Hängen der Bilder im schweizerischen Turnus. Mein Entzücken war dieser Turnus nicht. Aber zu einem Bilde zog es mich immer wieder hin. Ich fand es nicht schön. Es war weit entfernt von dem flüssigen, lebensvollen Schwung meines Meisters. Eckig war es gezeichnet, mit harten, phantasielosen Strichen, die Farben trüb, trocken, kalkig. Und was es darstellte, konnte mich auch nicht begeistern. Ein alter Mann sitzt zusammengesunken auf einem halbleeren Sack, müde zum Nichtmehraufstehen. Nein, es gefiel mir gar nicht.
Aber wie kam es, dass ich es doch immer wieder ansehen musste? Es war so ganz anders als alle anderen Bilder. So ganz eigen. Die Trauer dieses Armen griff einem ans Herz. Die andere Seite des Lebens. Ich konnte nicht begreifen, dass ich es doch immer wieder ansehen musste.
Ich musste Buchser fragen. Wir gingen zusammen in die Ausstellung, und indem wir gemächlich Bild um Bild betrachteten, machte er mich aufmerksam auf Schönheiten und Fehler. Ich merkte schon, er war nicht begeistert. Was würde er wohl sagen zu dem hockenden Mann? Verstohlen schaute ich den Meister an. Sein Gesicht verhieß nichts Gutes. Und da brach er auch wirklich los, schimpfte auf diese neuen jungen Maler und wollte den Namen dieses Verbrechers an der Malerei wissen. Ich kannte ihn aus dem Katalog: Ferdinand Hodler. «Kommt weg», sagte er «schaut mir solche Sachen nicht an!» Es gefiel mir ja auch nicht, und doch tat mir sein Urteil leid.
Im Frühjahr 1889 sah ich im Salon du Champs-de-Mars in Paris wieder einen Hodler: «Die Nacht». Trotz Buchsers Verbot sah ich ihn gründlich an. Aber wieder kam das gleiche Gefühl, ich war freudlos, ja betrübt. War die Malerei nicht dazu da, Freude zu bereiten? War das Malen nicht ein herrliches Handwerk, das einen glücklich macht und das Glück verbreitet? Warum musste man denn solche traurige, einem die Seele trübende Dinge darstellen? Die Figuren waren sehr gut in der Bewegung und waren ja auch, auf ihre Art, gut und solid gemalt, das sah ich schon. Auch das sah ich, dass die Komposition sehr eigenwillig war. Aber musste denn die Nacht wirklich so grauenhaft sein?
Und wieder verging ein Jahr, und ich sah wieder einen Hodler: «Das Aufgehen im All». Da konnte ich mit. Ich bewunderte den prachtvoll gezeichneten Akt und die wirklich im All aufgehende Bewegung der Frau. Wo ich aber so recht eigentlich von dieser Malerei gefangen wurde, war in der Ausstellung der «Rosecroix» des Sar Beladan in Paris. Hodler hatte zwei Werke, neben Rodo und Trachsel, «Die Lebensmüden» und «Die Enttäuschten» ausgestellt. Da wusste ich: das ist Große Malerei.
Es hielt mich nicht mehr länger in Paris, wo ich mit meinen Studien in eine Sackgasse geraten war. Einem glücklichen Zufall habe ich es zu verdanken, dass ich nach Pont-Aven geraten bin. Was ich bei den Rosenkreuzlern gesehen hatte, half mir, das, was ich in der Bretagne sehen und erleben sollte, besser und leichter zu verstehen. Das Große Erlebnis war Gauguin und einige Bilder von Van Gogh. Und die wiederum halfen mir, in der Zukunft Hodlers Art ganz zu würdigen und zu lieben.
Nach meiner Rückkehr in die Schweiz lernte ich durch die Vermittlung meines Freundes, des Bildhauers Max Leu, an einer Generalversammlung der Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer Ferdinand Hodler persönlich kennen. Ich hatte ihn schon beobachtet, wie er war und wie eigenartig er sich gab. Er flößte mir einen gewaltigen Respekt ein, und es war mir bange, ihm vorgestellt zu werden. Er war aber recht freundlich und fragte mich gleich, was ich male. Ich konnte ihm das Foto einer grossen Zeichnung zeigen, die ich als Konkurrenzaufgabe für den Schweiz. Kunstverein gemacht hatte. Sie stellte eine Pfahlbau-Szene dar: eine Töpferwerkstatt mit einem jungen Maler, der die Töpfe bemalt, und ein junges Mädchen, das zuguckt; auf dem Wasser kommen einige Fischer vom Fang heim. Während die idyllische Szene ihm nicht viel zu sagen schien, lobte er die rhythmische Folge der auf den Bau kletternden Fischer. Sein Interesse war geweckt, und ich war für ihn einer, mit dem etwas anzufangen war. Er lud mich ein, ihn in Genf zu besuchen.
Der Zufall führte mich bald nachher nach Genf. Ich stieg in der Grand'Rue die steilen Stufen hinauf zum Atelier. Auf dem Vorplatz verschnaufte ich, fasste mir ein Herz und klopfte. Alles blieb still. Ich klopfte zum zweiten Mal. Es regte sich nichts. Da wusste ich: Er war nicht da. Ich traute mich durch das Schlüsselloch zu spähen und sah vor mir auf einer Staffelei das Bild eines Mannes. Düster sinnend sitzt er auf einem Strohstuhl. Ich aber war froh, dass der Maler nicht da war. Was hätte ich mit ihm auch reden sollen in Gegenwart des traurigen Mannes.
Es ging aber nicht lange, da traf ich bei Max Girardet, dem Kupferdrucker, mit Hodler in Bern zusammen. Er übte sich im Velofahren und betrieb das auch so eigenartig wie alles, was er tat. Im Hof hinter dem Haus stand ein Baum, er hielt sich mit einem Arm an dem Stamm und fuhr nun, mit der andere Hand die Lenkstange führend, um den Stamm herum. Eine komische Methode; aber er brachte es doch bald so weit, dass er einhändig und die Mundharmonika spielend in den Strassen Berns herumfahren konnte, wobei ihn oft Rodo begleitete. Die beiden waren viel in Bern in jener Zeit. Wenn gar noch Albert Trachsel dazu stiess, gab es ein gar ungebundenes Leben, das ich hin und wieder auch mitmachte. Die drei hatten mich in ihre Freundschaft aufgenommen.
Hodler malte in dieser Zeit in einer Scheune vor der Stadt an seinem Marignanobild. Ich durfte ihn dort jederzeit besuchen, und er liess mich in freundlichster Weise an dem Erreichten und an seinen Absichten teilnehmen. Wie ganz neu war für mich seine Art zu schaffen! Bei Buchser trotz exakter Beobachtung Zeichnung aus freier Hand und ein malerisches Sich gehenlassen. Hier strengstes Zeichnen mit Hilfe eines Schnurgitters, das er vor das Modell stellte und dessen Vierecke auch auf die Leinwand gezeichnet waren. Das gab, statt dem mir gewohnten tonigen Zeichnen, beinahe nur Umrisslinien, in die die Farbe in grossen Flächen eingesetzt wurde. Statt dem Buchserschen, auch mir adäquaten Suchen nach malerischer, realer Wiedergabe des Lebens, bei Hodler ein fast geometrisches Konstruieren mit Linien und Farben. Hodler kam mir beinahe eher wie ein Architekt vor als wie ein Maler. Seine Art, schien mir, habe etwas Wissenschaftliches. Ich meinte, er suche nicht die Werte der Töne, wie sie gegeneinanderstehen, wiederzugeben, nein, er wusste, wie er einen Ton mit Hilfe eines andern wirksam machen konnte. Auch in der Zeichnung wusste er genau die Schattenlinie einzusetzen, so dass auf die einfachste Weise die gewollte Rundung sich ergab. Ich erinnerte mich, dass auch schon in Pont-Aven mein älterer Freund O'Conor mir von solcher Art zu zeichnen sprach.
Hodler hatte sein Prinzip. Nach seinem Willen formte er die Natur. Er malte und zeichnete sie so, wie er sie für sein Bild brauchte. Nicht das, was er sah, malte er. Er wählte aus und benutzte nur das, was zu seinem Zwecke passte. Was er vor der Natur malte, glich eigentlich nicht der Natur. In der Natur sah ich Licht und Schatten, neben hellen Farben sah ich dunkle. Ich sah scharfe Grenzen neben verschwimmenden Übergängen. Dies alles war bei Hodler nicht. Alle Farben waren hell und die Gegenstände mit meist dunklen Konturen umrissen. Auch «Die Nacht» war nicht dunkel, sie war hell und hiess «Die Nacht» nur, weil sie etwas Nächtliches darstellte, nicht um ihres malerischen Inhaltes willen. Alles aber, was er malte, war immer eine starke und wahre Äusserung seines eigenen Wesens.
So fühlte ich auch vor dem Marignanobild. Mir schien, der Rückzug der Schweizer aus der Schlacht war ein Vorwand, um sein Prinzip recht klar und deutlich und gross auf der Leinwand zur Wirklichkeit werden zu lassen. Ein ganz und gar künstlerischer Vorgang, der mir gewaltig imponierte. Um so mehr vielleicht, weil er gerade das Gegenteil war von dem, was ich anstrebte und was mir bis dahin als Malerei wertvoll erschienen war.
Um diese Zeit lernte ich Oscar Miller in Biberist kennen, mit dem ich in der Folge so viele Jahre hindurch in schöner Freundschaft lebte. Er führte eines Sonntags Hodler und Fritz Widmann in mein Atelier in Solothurn. Hodler war voll lebendiger Freude. Er sah zum ersten Mal Gemaltes von mir, und ich sah ihm deutlich seine Überraschung an.
Die Stunde dieses Besuches im Jahre 1897, die Herr Miller in seinen Essays «Von Stoff zu Form» so anschaulich geschrieben hat, war für mich eine grosse Wohltat. Sie war für mich der Ausgangspunkt meines Lebens, das auf Unabhängigkeit gegründet war. Einmal war die offensichtliche Anerkennung eines ganz Großen, aber ganz anders gearteten Künstlers für mich die Bestätigung meiner Anstrengungen. Meine lieben Basler Freunde hatten vorher ja schon alles getan, um mir gegen die vielen und bösen Ablehnungen zum Durchbruch zu verhelfen. Aber das waren eben frühere Freunde, und ich konnte nicht sicher sein, ob sie meine Bilder aus Freundschaft gut beurteilten oder wegen ihres eigenen Wertes. Hodler kannte ich aber schon so, dass ich wusste, sein Wort galt nur dem Wert. Was dann aber in zweiter Linie meine Zukunft auf sichern Boden stellte, war die Tatsache, die nur auf künstlerischen Erwägungen beruhte, dass der Kunstfreund drei Bilder von mir erworben hatte. Den Nachmittag verbrachten wir im Millerschen Hause in Biberist. Und da sah ich zum ersten Mal den Menschen Hodler. Bisher hatte ich in Hodler nur den Maler gesehen.
Hodler, eine nicht Große, gedrungene, kräftige Gestalt, war damals 44jährig; schwärzliches Haar und dunkelbrauner Bart, hohe, gewölbte Stirn, breit gelagerte helle Augen, die freundlich, lieb, schalkhaft und manchmal zornig blicken konnten, eine beinahe gerade, etwas vorstehende Nase, unter dem rötlichbraunen Schnurrbart der hellrotleuchtende, volle Mund. Alles kräftig und auch edel gebildet. Seine Hände ebenfalls kraftvoll, rund und kurz. Wie er sich in diesem für ihn ungewohnten Kreis der Familie Miller gab, war amüsant. Er war lustig, erzählte pointenreich allerlei Vorkommnisse aus seinem Leben, wobei er die freundliche Hausfrau mit einem unerwarteten Seitenblick plötzlich in Verlegenheit brachte. Oder wenn der Hausherr etwa eine Bemerkung machte, die dem freien Menschen zu bürgerlich erschien, konnte er rücksichtslos explodieren.
An diesem denkwürdigen Nachmittag erfuhr ich die ersten Begebenheiten aus Hodlers Jugendzeit, die so ausserordentlichen Entbehrungen und Schwierigkeiten der langen Anfangsjahre seiner Künstlerlaufbahn. Noch viel mehr als bisher schätzte und bewunderte ich ihn. Ich konnte jetzt besser die Darstellungen und auch die Art der Darstellungen auf seinen Bildern verstehen.
Er war ein leidender Mensch, das Leiden war ihm angeboren. Sein Leben war Verteidigung. Seinen ganzen Ehrgeiz setzte er darein, obenauf zu kommen, zu dominieren. Von Bild zu Bild, von Jahr zu Jahr stärker, intensiver. Nichts liess er auf seinen Parallelismus kommen, er war eins und alles. Und er hatte vollkommen recht. Wenn aber Oscar Miller mir einmal die verbissene Konsequenz Hodlers als nachzuahmendes Beispiel darstellte, da hatte er entschieden nicht recht. War ich doch ein anders gearteter Mensch. Ich habe mit zwei Zeichnungen Herrn Miller geantwortet. Auf der einen marschiert Hodler mit gezücktem Pinsel zwischen Bretterwänden auf sein Ziellos: ein schön konstruiertes Bäumchen mit einigen wenigen Blüten. Auf der andern stellte ich mich dar, der in einem Gärtlein die verschiedensten Blumen zu einem Sträusschen bindet.
Im Millerschen Heim lernten wir Adolf Frey kennen, der schon lang in Freundschaft mit Millers verbunden war. Er konnte sich in seiner gewandten, ritterlichen Art allerlei kleine, kühne Ausführungen gegen den Hausherrn und auch gegen die Hausfrau erlauben. Hodler, der nicht gern die zweite Geige spielte, wollte auch mittun. Aber weder hatte er schon das Recht dazu noch die gesellschaftliche Routine, um es meisterhaft zu können. Ein paarmal habe ich es erlebt, dass er mit dem Wort, obschon er sehr witzig sein konnte, nicht so bewandert war wie mit dem Pinsel. Vielleicht war daran auch schuld, dass er besser und lieber französisch sprach als deutsch. Doch auch in dieser Sprache musste er gegen einen, der schlechter französisch sprach als er, gegen Otto Vautier, den Kürzeren ziehen.
Vautier liebte es, den von den Malgenossen nicht nur geachteten, sondern auch gefürchteten Meister auf seine geistreiche und feine, gutpointierte Weise ein wenig aufzuziehen. Hodler wurde dabei jedes Mal nervös, und es gelang ihm nur schwer, den ruhigen und überlegenen Ton beizubehalten.
Handelte es sich aber um eine lustige, harmlose Plauderei oder um ein ernsthaftes Gespräch oder eine Diskussion über Kunst, so war er in beiden Sprachen Meister wie in seiner Malerei. Seine scharfen, aber gerechten und niemals boshaften Urteile waren gefürchtet und geschätzt. Sie bewirkten auch, dass er in die Jury für die Vorausstellung der Münchner Internationalen gewählt wurde. Sie fand 1897 in Basel statt.
Während diesen Jurytagen war ich auch in Basel bei meinen dortigen guten Freunden. Hodler und ich waren an den Abenden immer beisammen. Die drei Bilder, die ich geschickt hatte, waren angenommen worden. Er hatte sein Redliches dazu beigetragen. Eines Abends sagte er zu mir ernsthaft: «So, jetzt ist der Anfang für dich auch gemacht, aber damit ist es nicht getan, nun musst du auch das Deinige dazu tun.» Ich meinte, das seien doch meine Bilder. Er aber meinte, das genüge bei weitem nicht. Ich müsse in die Gesellschaft gehen und dürfe mich nicht scheuen, eine Tasse Tee zu trinken und mit Damen über Malerei zu plaudern. Ich konnte nicht begreifen, dass ein Hodler so zu mir sprach. Aber wie oft erinnerte ich mich später an seinen Rat. Wenn er es tat, konnte ich es auch tun. Und wie viel hat es mir zu meinem Fortkommen geholfen! Und wie oft habe ich in der Folge über kluge Bemerkungen von Laien männlichen und weiblichen Geschlechts Freude gehabt, und wie sehr haben mir diese in meinem Leben Nutzen gebracht.
Mein offizielles Domizil in dieser Zeit war Solothurn, doch ich war beinahe immer in Hellsau, dass ich seit der Zeit, die ich mit Buchser dort verbringen durfte, nie vergessen konnte. Im frühen Frühling 1898 kam Giacometti aus dem Bergell dorthin.
Von dort gingen wir oft nach Biberist und Bern. An beiden Orten trafen wir den Hodlerkreis, in dem wir uns so wohl befanden. Giacometti kam mit der Mission von Segantini: nach des Meisters Entwürfen und unter seiner Leitung sollten wir zwei das Panorama des Engadins, das er für die Pariser Weltausstellung geplant hatte, malen, und Hodler sollte über der Eingangspforte ein grosses Wandbild schaffen. Es kam nicht zur Ausführung. Das Wandbild wäre gewiss eine sehr schöne Sache geworden. Ebenso sicher ist es aber auch, dass das Panorama eine verfehlte geworden wäre.
An mich trat eine andere Aufgabe heran. Herr Miller gab mir den Auftrag, ein Bildnis Hodlers zu malen. Hodler war einverstanden. Ich durfte in Bem bei der Familie J. V. Widmann wohnen, von unserem Freunde Fritz Widmann eingeladen. Es waren dort sehr schöne, heimelige, manchmal auch anstrengende Tage. Widmanns Begeisterung für Spitteler und meine Abneigung waren schuld an diesen Anstrengungen. Ich musste «Konrad der Leutnant» lesen, der sollte mich bekehren. Er tat es nicht. Und wir wendeten unsere Gespräche lieber Brahms zu, für den der Hausherr mich zugänglicher fand. Hodler kam öfters ins Haus, und man fing an, von dem Bild zu reden, das er von dem gastfreundlichen Dichter malen sollte. Hodler sagte davon wiederholt, es müsse mit Hilfe des Schnurnetzes so genau werden wie die Natur selbst. Es ist dann geworden wie die Natur selbst, dabei war gewiss Hodlers Geist so sehr beteiligt wie sein Schnurnetz.
Hodler malte an seinem Karton für Marignano. Man hatte ihm einen Saal im Zeughaus zur Verfügung gestellt, auch eine Militärbluse, die er als Malkittel trug. Immer anders als andere Maler! Er trug auch keinen grossen Hut, er trug ein Köksli, auch beim Malen. In diesem Saal sah es kunterbunt aus. Die grossen Leinwände mit den ersten Entwürfen standen herum. Davon eindrücklich der erste mit den ganz wenigen Figuren, der nicht angenommen worden war. Zeichnungen lagen herum, auf den Tischen, den Fenstern entlang Kostüme, Harnische, Schwerter, Farbtöpfe, eine Flasche mit Blut darin, um es den Modellen über die verwundeten Köpfe zu giessen. Am Boden lag das grosse Bild, das in Arbeit war, darüber auf Blöcken eine Leiter und auf ihr kauerte der Maler, indem er zwischen den Sprossen durch malte.
Er war sehr konzentriert bei der Arbeit, verlor den ganzen Tag über keine Minute; die Modelle feuerte er durch Blicke, Zurufe und Vormachen der verlangten Bewegung an. Er hantierte mit seinen Töpfen, Farben und Pinseln mit zielbewusster und zielsicherer Behändigkeit. Er war freudig und fröhlich bei all dem Werken, und das Werk gedieh von Tag zu Tag zu grösserer und imposanterer Vollendung. Am Abend gewährte er mir noch eine Sitzung zu seinem Bildnis. Wenn es gut ging, war es eine Stunde. Ich hatte ihn vor sein grosses Bild gesetzt, so dass die roten Beine seiner Krieger den Hintergrund bildeten. Gerne hätte ich ihn in seinem blauen MiIitärkittel mit den roten Aufschlägen gemalt. Das aber wollte er nicht. Er zog seinen schönen Ausgehrock an. In diesen Tagen lernte und übte er das Mundharmonikaspielen. Ich war so unvorsichtig, ihm das glitzernde Instrument in die Hand zu geben, die er auf dem Knie halten sollte. Jeden Augenblick aber hatte er seine geliebte Maulgeige unter seinem Schnauz. «Rufst du mein Vaterland» probierte er. Ich hatte des Teufels Mühe, ihn ein wenig zum Stillsitzen zu bringen. Wieviel besser hatte er es mit seinen Modellen! Eines Abends, als ich zur Sitzung kam, war er ganz ruhig und beobachtete mich mit seinen listigen Augen unverwandt. «Hast du noch nichts gemerkt?» meinte er. «Doch, dass du besser sitzest.» Aber er zeigte auf sein Bild: die ganze Gruppe Krieger mit Ausnahme der zwei vordersten hat er um zwei Zentimeter höher gesetzt. Alle diese Figuren waren fertig gewesen, aber er hatte gefühlt, sie müssten höher stehen, um diese, im Verhältnis zum ganzen Bild winzigen zwei Zentimeter höher stehen, und er hatte diese ganze grosse Arbeit nicht gescheut. Das war der ganze, echte Hodler. So will ich es haben, so muss es sein. Nichts dem Zufall überlassen, nichts verschwommen,alles wohl abgewogen, präzis, knapp, eindeutig. Mir machte sein Wesen einen gewaltigen Eindruck. Er aber begann, da er seine Wirkung gesehen, wieder mit seinen «Rufst-du-mein-Vaterland»-Übungen.
Der Ernst, das Pflichtgefühl, die Verantwortlichkeit, mit denen er an jede kleinste und grösste Arbeit ging, liessen ihn auch voraussetzen, dass die Betrachter seine Werke mit Ernst, Anstand und dem Wissen um den absoluten Wert anschauten. Da verstand er keinen Spass.
Das zeigt so recht die Episode, die ich nun erzählen will. Giacometti kam hin und wieder von Hellsau nach Bern hinüber, und wir beide verkehrten in einer vornehmen Bündner Familie, die dort ansässig war. Wir berichteten von dem grossartigen Werk, das in diesen Tagen im Zeughaus entstand und der Vollendung entgegenging und vermittelten einen Besuch bei Hodler. Beim Abschied wurden wir drei zu einem Trunk Veltliner im Hause unserer Gastgeber eingeladen. Wir freuten uns auf den Abend und assen mehr als gewöhnlich zu Nacht, damit wir auch etwas vertragen konnten. In guter Stimmung langten wir im Hause an. Eine ganze geladene Gesellschaft wartete mit dem Essen auf uns. Wir hatten die Einladung missverstanden. Der Braten war etwas schwärzlich geworden, die Miene der Hausfrau weniger heiter als sonst. Hodler aber und wir nahmen die Sache nicht tragisch und griffen fröhlich zu. Beim schwarzen Kaffee legte die Hausfrau dem Meister das Gästebuch vor. Der, in der lustigen Laune, mit der wir den Abend begonnen hatten und die sich im Verlauf vermehrte, blickte die Hausfrau mit übermütigen, wie mir schien, schon etwas gefährlichen Augen an und begann oben auf der aufgeschlagenen Seite des Buches in aller Gemütsruhe kleine waagrechte Striche zu zeichnen. «Eh nein, Herr Hodler!» Worauf Hodler: «Aha, Sie wollen eine Variation!» Und er zeichnete ebenso langsam eine Zeile senkrechter Strichlein. «Nun aber, Herr Hodler, zeichnen Sie mir einen Ihrer schönen Krieger in das Buch.» Da bricht der ganze Hodler los: «Glauben Sie denn, die Kunst ist ein Kinderspiel!» und er schmeisst ihr das Buch mit Verachtung vor die Füsse. Die Frau verlässt das Zimmer, die Gäste empfehlen sich. Der Hausherr aber, der Situation gewachsen, meint: «So, nun können wir in aller Gemütlichkeit unsern Veltliner trinken.»Hodler und ich schlossen uns in diesen Tagen immer näher aneinander an. Eines Abends sagte er: «Komm morgen in meine Wohnung, ich will dir etwas zeigen.» Und was zeigte er mir? Eine schöne, schlanke Frau mit hellen blauen Augen und schwarzen Locken über die Schultern herab. «Das ist meine Frau», sagte er, «die habe ich geheiratet. Sage es aber niemandem, das geht niemanden etwas an.» Und noch etwas zeigte er mir: neben dem angefangenen Bild, «Der Tag», die ersten Skizzen zum «Bewunderten Jüngling». Am Tisch beim Fenster hatte er das Blatt aufgelegt. Darauf war die Umrandung gezeichnet, darin er die ausgeschnittenen Figuren hin und her schob. Er sprach von der Gegenüberstellung einer Einzelfigur und einer Gruppe, vom Parallelismus, vom Wert einer kleinen Einzelheit in einer grossen Fläche. Es war ein Sonntag, und wir drei blieben den ganzen Tag in Vertrautheit zusammen. Ich erzählte auch von meinen Heiratsplänen und dass ich mich ganz auf dem Land niederlassen wolle. Er aber rückte mit der Idee heraus, ich solle doch nach Genf kommen, er wolle mir ein Atelier geben, und wir wollten zusammenarbeiten. Es tat mir so leid, ihm mit einem ungern ausgesprochenen, aber ebenso entschiedenen Nein antworten zu müssen. So gut wir uns auch verstanden, und so sehr ich ihn, den 15 Jahre Älteren, bewunderte und hochschätzte, mein Verlangen nach meiner ganzen Selbständigkeit konnte ich nicht aufgeben. Es war verlockend, mit einem so grossen Künstler zusammen arbeiten zu dürfen, mit ihm mich weiterzubilden, auch der Existenzsorgen mehr oder weniger enthoben zu sein. Wir waren aber im Charakter zu verschieden, und das, was mich zum Malen reizte, war etwas anderes als das, um dessentwillen er malte. Das Stadtleben, der ständige Kontakt mit anderen Künstlern, die vielfachen Anregungen wogen doch meine Liebe zum einfachen Dasein auf dem Land nicht auf.
So musste an diesem Tag, der so schön angefangen hatte, auch der Grund gelegt werden, der zu öfteren peinlichen Reibereien zwischen uns führen und unsere gute Freundschaft trüben sollte. Meine Ablehnung hatte ihn geschmerzt, ja auch gekränkt. Verschiedene Male in der Folge tönte er wieder eine Zusammenarbeit an. Manches Mal überlegte ich, und immer kam ich zu dem gleichen Schluss.
Im Frühsommer 1898 konnte ich durch persönliche Bekanntschaft mit dem damaligen Präsidenten der Zürcher Kunstgesellschaft eine Ausstellung zustande bringen. Hodler, Giacometti und ich füllten gemeinsam das Kunsthaus mit unseren Bildern. Man redete und schrieb entsetzlichen Unsinn.
Albert Fleiner, der in der Neuen Zürcher Zeitung eine sachliche Besprechung eingerückt hatte, musste sich die grössten Unflätigkeiten gefallen lassen.
Mittlerweile waren meine junge Frau und ich auf die Oschwand gezogen. Ich malte das erste Bernermeitschibild. Millers besuchten uns oft, und manches Bild wanderte nach Biberist. Für lange Zeit die einzige Absatzmöglichkeit. Auch Hodler kam. Als das grosse Bild fertig war, besprachen wir dessen Titel. Ich wusste keinen passenden. «Was hast du mit dem Bild gewollt?» «Wenn am Sonntagabend die Mädchen in den grünen Wiesen sich ergehen, dann sieht das alles so satt und reich aus.» «Nun also, das ist ja einfach: "Richesse du soir".» Und so hiess das Bild von nun an.
Das Museum in Solothurn war fertig geworden. Wir waren alle an der Eröffnung gewesen. Hodler hatte grosse Freude an dem Tag gehabt. Wir sprachen oft davon, und es wurde der Plan reif: Hodler wollte im Treppenhaus des neuen Baues auf die eine Wand ein Fresko malen, wenn ich die andere Wand übernähme. Nach den Plackereien seines Marignanofreskos in Zürich freute er sich, in aller Freiheit etwas gestalten zu können. Er wollte die Schlacht bei Dornach malen und ich den Auszug der Krieger aus Solothurn. Ich ging zum damaligen Stadtammann, legte ihm unseren Plan vor mit der Bemerkung, dass wir für unsere Arbeit nichts verlangten, nur unsere Ausgaben entschädigt haben wollten. Es sollte also ein Geschenk an das Museum sein. Der Stadtammann machte ein pfiffiges Gesicht, er erinnerte sich wohl an den noch ganz frischen Marignanostreit, und dass diesem Hodler gehörig am Zeug geflickt worden sei, er hatte wohl auch die schönen Sachen, die über mich in Zürich geschrieben worden waren, gelesen. Er sagte: «So, so, ja, ja, da wollen wir aber doch vorerst noch Skizzen und Entwürfe sehen!» Also abgewiesen! Ich schämte mich, als ich es Hodler mitteilte. Er sagte nur in seiner grossen Einfachheit: «Die Solothurner sollen mir in die Schuhe blasen.» So ist Solothurn in einem kurzen Augenblick um einen Hodler gekommen, und ich um die Verwirklichung eines schönen Traumes.
Hodler erfreute uns immer wieder mit seinem Besuch auf der Oschwand. Eine alte Erinnerung mochte dabei mitwirken. Im Jahre 1876 weilte er in Herzogenbuchsee bei Dr. Krebs, dem Vater von Maria Waser. Der Doktor wurde auf die Oschwand gerufen, um den Tod eines Mannes zu konstatieren, den man da in einer Tenne gefunden hatte. Hodler begleitete ihn und malte den Mann. Die Tenne des Bauernhauses, in dem dies geschah, bildet heute einen Teil meines Ateliers.
Unsere Gespräche drehten sich immer wieder um die Zusammenarbeit. Sie hatten den Erfolg, dass ich versuchte, Hodlers Anschauung in meiner Malerei anzuwenden. Und in seiner trat an Stelle des Tonigen reinere Farbe. Trotz unserer Verschiedenheit blieben wir gute Freunde. Wir rauchten zusammen unsere Bastos, wir tranken zusammen unser Bier, wir «hangelten» zusammen, wir rangen miteinander, ohne dass einer stärker war.
Einmal gab es einen Zwischenfall. Ich traf ihn in Bern. Er machte ein böses Gesicht. «Du hast schlecht über mich gesprochen.» - «Was fällt dir ein, wieso?» «Man hat es mir gesagt.» Und er war furchtbar böse. Da sagte ich: «Nie habe ich schlecht über dich gesprochen. Wenn du es mir nicht glaubst, werde ich niemals mehr mit dir reden.» Da schimpfte er über die Schwätzer. Einmal machte er eine Zeichnung von mir in mein Skizzenbuch und schrieb darunter «Figure ingrate».
Die Zeit verging, es kam die erste Ausstellung in Wien. Die Sezession hatte Hodler, Perrier und mich eingeladen. Hodler fuhr persönlich hin. Er kam zurück voll Begeisterung und Zuversicht. Mehr als je war er sicher, auf dem rechten Weg zu sein. Vollständige Abwendung von Tizian und den ganzen Venezianern. Bekenntnis zu den Florentinern, vor allem aber zu Dürer. Er drückte seine Entschiedenheit mit starken Worten aus, und ich fühlte heraus, ich sollte mich nun auch deutlich entscheiden. Ich aber musste nach wie vor meinen Weg gehen, hatte Freude an einem Venezianer, an einem Florentiner und an einem Dürer. Ich wollte nicht die Fessel eines Prinzips, ich wollte frei sein und malen, was mich gerade freute.
Die zweite Wiener Ausstellung rückte heran. Karl Moll, der Präsident der dortigen Sezession, und Koloman Moser von den Wiener Kunstwerkstätten kamen in die Schweiz, um Bilder auszuwählen. Sie kamen zuerst auf die Oschwand, weil das am Wege lag, und nachher gingen wir zusammen nach Bern, wo wir Hodler trafen. Der würdigte mich keines Blicks, sprach kein Wort zu mir und war zwei Tage lang übler Laune. Wir trafen uns in Wien wieder. Oscar Miller war auch gekommen.
Hodlers zwei grosse Säle waren voll majestätischer Pracht. Eine absolut überragende Manifestation, trotz den Sälen von Marees und Munch. Mir hatte man zwei kleinere Räume gegeben und sie sehr freundlich eingerichtet. Meine Frau und ich wohnten bei Moll, Hodler bei Dr. Spitzer. Alle die Häuser auf der Hohen Warte waren von Hofmann gebaut und von Moser möbliert. Alles war aufs peinlichste abgewogen und ausgerechnet. Jeder Stuhl, jede Vase hatten ihren unverrückbaren Platz.
Hodler war guter Laune. Wie ein Junge stellte er schnell und ungesehen Blumen auf einen anderen Tisch und freute sich über den Diener, der sie wieder an ihren richtigen Ort brachte. An Einladungen kam es vor, dass er in seiner Lustigkeit die Dame des Hauses, statt ihr den üblichen Handkuss zu geben, mitten auf den Mund küsste. Er wanderte gern mit einer Mappe herum, worin er die vielen Kritiken über seine Bilder verwahrte. Wenn wir zwei einmal allein zusammen waren, dann war er sehr freundlich und sprach mit viel Achtung von meinen Bildern und meinte, wir sollten doch zusammenarbeiten.
Ein Photograph wollte ihn aufnehmen. Ich sollte ihn um eine Sitzung bitten. «Ja, wenn du mit- kommst.» Wir gingen hin. Im Vorzimmer, wo Kämme und Bürsten bereitlagen, wünschte er, ich sollte mich so kämmen, wie er die Haare trug, nach hinten, wo ich sie doch nach vorn bürstete. Ich schlug den Wunsch aus, und er hatte gar keine Freude. Die Aufnahmen bekam ich nie zu sehen.
Es tat mir leid, Hodlers Wunsch nicht erfüllen zu können. Wenn ich auch damals probierte, ein wenig altdeutsch zu malen, und so lieb ich auch Hodler hatte, fühlte ich doch zu deutlich, dass ein Zusammenwirken mit ihm für beide am Ende unerspriesslich würde.
Die Zeit ging. Er machte seine wunderbaren grossartigen Bilder aus einer anderen Welt, und ich überliess mich meiner ungebundenen Liebe zur Pracht der Natur.
Wir sahen uns nicht mehr so viel wie in der übermütigen, frohen und quellenden Berner Zeit. Ka- men wir in der Gesellschaft oder mit Kameraden zusammen, so war ich einer, mit dem er nicht sonderlich viel zu tun hatte und den er gelegentlich auch mit ein wenig Spott und manchmal auch Grobheit abtun konnte. Waren wir aber allein, so war er voller Freundschaft, und wir redeten in aller Offenheit über unsere Malerei.
Noch einmal gab es eine Gelegenheit, da er den Wunsch ausdrückte, wir möchten zusammenarbeiten. Er erhielt vom Zürcher Kunsthaus den Auftrag, die eine Wand im Treppenhaus zu bemalen. Er wollte, dass ich die andere Seite erhalte. Auch da kam es nicht dazu: es sollte nicht sein, und es war auch recht so.
Die Jahre flogen vorbei. Es kam das Jahr 1918. Hodler war krank und musste oft schrecklich leiden. Ich besuchte ihn in seiner schönen Wohnung am Quai du Mont Blanc. Madame Hodler führte mich mit sehr besorgter Miene zu ihm. Er kam mir entgegen, an der Hand sein kleines, reizendes, rundes Töchterchen. Welch ein Kontrast! Das blühende Kind im hellen Röckchen und der gebeugte zerfallene Vater mit dem Ecossaisschal um den magern Körper! Sein Gesicht war fahl und faltig. Doch seine Augen lächelten noch hell und freundlich, indem er mir seine Paulette zeigte. Das Ebenbild seiner jungen Jahre! Es war ein unvergesslicher Vormittag. Er hatte ein paar gute Stunden. Er führte mich zu seinen Seebildern mit dem Montblanc, diesen Pracht- stücken von grosser, freier und frischer Malerei. Ich sprach ihm meine Bewunderung aus und meine Freude, dass er noch derart freizügig malen könne. Dabei fuhr ich mit meinem Arm durch die Luft. Er aber hob kaum die Hand ein wenig vom Körper weg: «Nur so kann ich noch malen.» Er schilderte mir seine Leiden, seine schrecklichen Asthmaanfälle, die ihm den Tod zum sehnlichen Wunsch werden liessen. An diesem Vormittag hatte er leidlich Ruhe. Wir plauderten ausgiebig miteinander. Ich fühlte seine gute Freundschaft. Er fragte mich: «Was machst du jetzt?» - «Ich habe angefangen, ein wenig zu Bildhauern, indem ich glaube, auf diese Weise die Form besser verstehen zu lernen.» Er aber leidenschaftlich: «Tu das nicht, bleib bei deiner Farbe und male gross, grossformatig, ganz grosse Bilder musst du malen.» Ich erinnerte mich, wie er mir einmal, viele Jahre früher, erklärt hatte, wie schwer es sei, ein kleines Bild zu malen und wie es dazu einer kräftigen Hand bedürfe. Auf einmal sagte er: «Du, ich gehe jetzt ein paar Wochen ins Tessin, und nachher musst du nach Genf kommen, und dann malen wir uns gegenseitig.» Wie oft hatten wir schon davon gesprochen!
Vier Wochen später kam ich nach Genf. Ich malte ihn. Er lag im Sarg.
Quelle: Historisches Archiv der Fondation Cuno Amiet